grafik wird philosophie

Müsset im Natur betrachten immer eins wie alles achten. Nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen das ist außen.
(J. W. Goethe)


Schon immer faszinierten mich die kleinen Kunst­werke der Natur. Oft verbergen sie sich etwa in einem Blatt, einer Holz­maserung oder einem Mineral. In Bild­bearbeitungs­schritten können verschiedene Strukturen zu neuen, für unsere Seh­gewohnheiten oft überraschenden Verbindungen verwoben werden. Es kommt zu einem Spiel mit unserer Vorstellungs­kraft und zur Entdeckung ungeahnter Entsprechungen. Blatt­adern erinnern an einen sich verzweigenden Baum, Gesteins­maserungen lassen an Land­schaften denken und organische Wuchs­formen werden in Beziehung gesetzt zu Bau­körpern der Architektur. Das Große findet sich im Kleinen bzw. das Kleine ist oft ein Spiegel des Großen.

Für weite Bereiche der Kunst haben die Formen und Muster­bildungen der Natur, hat ihr inne­wohnendes grafisches Potential die Impulse gegeben. Wissen­schaftler und Mathematiker haben die Form­gebungen der Natur analysiert. Dabei trat ein Form­gebungs­prinzip in Erscheinung, das sich im Großen wie im Kleinen, von der Schnee­flocke bis zum Gebirge immer wieder manifestiert. Es ist das Prinzip der Selbst­ähnlichkeit. Das Ganze spiegelt sich mit einer Wieder­holung ähnlicher Muster­bildungen in immer kleinerem Bild­ausschnitt. Der aus dem Baum wachsende Ast ähnelt in seiner Verästelung wieder einem Baum, und so setzt sich das bis in die kleinsten Zweige fort. Seien es Wolken, Dünen, Gebirgs­panoramen oder viele organische Wuchs­formen, es kommt zu einer harmonischen Zusammen­stimmung der Teile mit dem Ganzen.

Und noch ein Struktur­merkmal natürlicher Form­gebungen ist typisch: Von glatter geometrischer Regel­mäßigkeit sind Natur­formen zumeist nicht. Im Gegenteil, meist sind sie eher irregulär, ungeordnet und erscheinen dennoch harmonisch. Wissen­schaftler und Mathematiker sprechen in diesem Zusammen­hang von Fraktalen. Diese unterscheiden sich von der klaren Regel­mäßigkeit unserer euklidischen Schul­geometrie dadurch, dass ihre Konturen einen komplexen Reichtum in den Fein­strukturen aufweisen, die sich in der Nah­sicht mit immer feineren neuen Details fortsetzten. Sozusagen im Hinein­zoomen enthüllen die Objekte bis auf die Mikro­ebene hinab eine sich immer weiter entfaltende Tiefe im Detail. Das ist eine grund­sätzlich andere bildnerische Optik als z.B. im Impressionismus oder Expressionismus. Diese kristalline Genauigkeit in den sich entfaltenden Fein­strukturen bedarf zum Nach­vollzug einer foto­realistischen Exaktheit.

Darum ist die Computer­grafik im Verbund mit den Roh­materialien der Makro­fotografie ein so geeignetes Medium, um den Reichtum fraktaler Form­gebungen, um diese bei näherer Betrachtung immer weiter zunehmende Komplexität, diese Kreativität der Formen und Strukturen auszuloten. In den Verschränkungen von Mikro­ebene und Makro­ebene, in einer immer wieder durch­scheinenden Selbst­ähnlichkeit von Teil und Ganzem wird die Welt als ein sich durch­dringendes Netzwerk erfahrbar: Die Welt ist eine unteilbares Ganzes. Vielleicht ist das die Botschaft der so entstehenden Bilder.